Zivilcourage und Widerstand
Gars. Auf eine Zeitreise mitnehmen wollte Zeitzeuge Alfred von Hofacker, dessen Vater am Attentat des 20. Juli 1944 beteiligt war und hingerichtet wurde, die Schüler der 9.-11. Jahrgangsstufe des Gymnasiums. Es wurde eine packende Reise in seine eigene Biografie und Familiengeschichte und zugleich eine beeindruckende Lektion über den deutschen Widerstand vor dem Ende des Krieges.
Nah an seinen 15-18-jährigen Zuhörern befand sich der Referent, wenn er darauf verwies, dass er, sein älterer Bruder oder seine drei Schwestern sich gerade in ähnlichem Alter befanden, als die schicksalhaften Ereignisse wie das gescheiterte Attentat des 20. Juli, die Verhaftung des Vaters, die Trennung der Familie, Sippenhaft in Kinderheim oder Konzentrationslager und schließlich Haft, Folter und Hinrichtung des Vaters über die Familie hereinbrachen.
„Erinnerungssplitter“ breitete Alfred von Hofacker vor den gebannt lauschenden Gymnasiasten aus: Als Neunjähriger hörte er mit Mutter und Geschwistern im Volksempfänger vom gescheiterten Attentat des 20. Juli, noch ohne dessen Tragweite und die Verwicklung des Vaters in das Geschehen zu erahnen. Erst später erklärte ihm die Mutter, dass sie in einem für das Kind rätselhaften Feuer im Garten belastende Briefe des Vaters verbrannt habe. Bald danach wurde die Familie in „Sippenhaft“ genommen, weil man, wie Himmler vorgegeben hatte, auch die Angehörigen von Widerstandskämpfern bestrafen wollte: Mutter und älterer Bruder und Schwester wurden verhaftet und später in die Konzentrationslager Stutthof, Buchenwald und Dachau verschleppt, die jüngeren Geschwister, Alfred sowie eine ältere und eine jüngere Schwester wurden zusammen mit Kindern von anderen Widerstandskämpfern in ein Kinderheim in Bad Sachsa gebracht, nach dem „Endsieg“ wären sie vermutlich zwangsadoptiert worden. „Geisterkinder“ nannten sie ihre Bewacher, weil sie im Unklaren über ihre Herkunft gelassen wurden.
Der Vater Caesar von Hofacker war in Paris zunächst als Offizier der Luftwaffe dafür zuständig, dass deutsche und französische Stahl- und Schwerindustrie für Rüstungsaufgaben zusammengeführt wurden. Ab 1943 und auch zum Zeitpunkt des Attentats auf Hitler im „Führerhauptquartier Wolfsschanze“ war er bei der deutschen Militärverwaltung in Paris tätig. Vom anfänglichen Anhänger Hitlers hatte er sich zum Widerstandskämpfer gewandelt. Zusammen mit General Carl-Heinrich von Stülpnagel sollte er nach gelungenem Attentat für einen schnellen Waffenstillstand mit den Alliierten an der Westfront sorgen. Nachdem in Paris bereits 1200 SS- und SD- Angehörige verhaftet waren und sich ein Erfolg der „Operation Walküre“ abzeichnete, kam die Nachricht aus Berlin, dass der Führer lebe. Obwohl das Scheitern des Putsches damit besiegelt war, lehnte es Caesar von Hofacker ab, sich nach Spanien abzusetzen, wohl um seine Familie nicht Repressalien auszusetzen, vermutet Sohn Alfred. Nach fünf Tagen normalen Dienstes wurde der Vater in Paris verhaftet, nach Berlin verbracht, aber anders als die meisten Widerstandskämpfer nicht innerhalb von 48 Stunden hingerichtet. Erst im August wurde er vor dem Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und im Dezember 1944 nach über viermonatiger Haft in Berlin Plötzensee erhängt. Man habe durch umfangreiche Verhöre das Umfeld der Verschwörung in Frankreich genau ausloten wollen und dabei seinen Vater sehr wahrscheinlich gefoltert, so Alfred von Hofacker. Dafür spreche eindeutig ein aus dem Gefängnis Plötzensee stammendes blutiges Hemd seines Vaters. Bürokratisch penibel wurden von den Behörden die Kosten für Todesurteil, Pflichtverteidiger, Haft und Exekution bis hin zum Porto für die Mitteilung des Todes an die Mutter aufgelistet und eingezogen.
Der Referent zitierte aus einem Brief des älteren Bruders und aus Gedichten der älteren Schwester: In menschlich nahegehender Weise nahmen sie Abschied vom Vater. Er selbst habe sich erst sehr viel später mit Tod seines Vaters, den er zunächst nicht wahrhaben wollte, auseinandergesetzt. Auch habe sich sein Vaterbild gewandelt: Eine heitere Erinnerung an den „Urlaubsvater“ in bayerischer Tracht, der ganz für seine Kinder da war, wurde abgelöst durch Blick auf den Widerstandskämpfer, der zunächst für das „Volksempfinden“ und für manche Unbelehrbare sogar bis nach dem Krieg als Verräter galt.
Aus heutiger Sicht schwer zu verstehen sei wohl auch eine Antwort seines geschichts- und literaturbewussten Vaters, die er einem Gestapobeamten gab, der ihm fehlende Verantwortung für seine Familie vorhielt. Mit einem freien Heine-Zitat habe er geantwortet: „Was schert mich Weib und Kind? Jetzt geht es um mein Vaterland!“. Eine Krise seines Vaterbildes habe sich zudem ergeben, so Alfred von Hofacker, als er persönliche Dokumente aus dessen frühen Jahren fand, die Caesar von Hofacker als überzeugten „Wegbereiter“ Hitlers auswiesen. Sein eigener Sohn habe ihm schließlich mit dazu verholfen, so der Referent, dieses Bild mit dem des Widerstandskämpfers zusammenzubringen und auch Widersprüchliches als letztlich menschlich zu begreifen. Sein Vater sei für ihn kein „Held“ und habe sich auch selbst nicht so verstanden. Vielmehr sei er ein couragierter Mensch gewesen, der, wenn auch spät, Konsequenzen aus seinem zunächst falschen Handeln gezogen habe.
Authentisch und menschlich anrührend schilderte von Hofacker einen Traum, in dem er seinen Vater überlebensgroß über einer Menschenmenge schweben sieht. Als er ihn anspricht, wendet er sich mit abweisendem Blick ab. Erst damit sei er gezwungen worden, die Realität des Todes seines Vaters zu akzeptieren, so der Referent.
Abenteuerlich gestaltete sich die Zusammenführung der Familie bei Kriegsende. Noch vor der Kapitulation hätten SS und Gestapo geplant, Angehörige von Widerstandskämpfern und KZ-Häftlinge, darunter Mutter und ältere Geschwister, den Alliierten quasi als Geiseln zum Austausch anzubieten, das sei aber durch das Eingreifen von Wehrmachtssoldaten am Pragser Wildsee in Südtirol verhindert worden. Erst nach einem von den Amerikanern angeordneten, aber für die Mutter schmerzhaften „Erholungsurlaub“ auf der Insel Capri und nach einer Odyssee der drei jüngsten Geschwister durch das zerbombte Land sei die Familie schließlich zusammengeführt worden. Besonders schlimm sei es für die Mutter gewesen, dass sie zunächst von der jüngsten Tochter nicht wiedererkannt worden sei.
Die Schülerinnen und Schüler nahmen die Gelegenheit wahr, zahlreiche, darunter auch persönliche Fragen zu stellen. „Übt Euch in Zivilcourage, es ist das Mittel, dessen man sich heute bedienen darf, eine Gefahr besteht für Euch nicht!“, forderte Alfred von Hofacker auf. Ein Widerstandsrecht sei heute im Grundgesetz verankert, wenn aber jeder rechtzeitig Zivilcourage praktiziere, sei Widerstand gar nicht nötig. Ungewöhnlich lange anhaltender Applaus der jungen Leute zeugte davon, dass die Botschaft offenbar angekommen war.
26. Juli 2018 – B.Münch