Ein Tag am Gericht (Q11 2016/2017)

GERICHT – Ein altehrwürdiger Saal, eine Reihe von Richtern in schwarzen Roben mit strengem Blick und Lockenperücken, welche sich durch energisches Klopfen mit den Hämmern Gehör verschaffen.

Mit diesen Vorstellungen betraten wir, die Wirtschaftskurse der Q11, das Amtsgericht Altötting. Doch als wir vor dem modernen Gebäude standen, die flughafenähnlichen Kontrollen passiert hatten und schließlich in den neumodischen Gerichtssaal geführt wurden, waren wir überrascht. Der Raum war hell und modern eingerichtet, es war nur ein Richter anwesend und es herrschte keine bedrückende, einschüchternde Atmosphäre, sondern wir wurden freundlich begrüßt.

Der Verhandlungstag begann mit dem Fall eines vermeintlichen Schwerverbrechers. Dieser entpuppte sich jedoch bei der Verlesung der Anklageschrift durch den Staatsanwalt als „gemeingefährlicher Haribo-Dieb“ – zu unserer Belustigung, da dieses Delikt dem Erscheinungsbild des Angeklagten vollkommen widersprach. Der Richter entschied, nach Befragung zweier Zeugen, dem Plädoyer des Staatsanwalts und dem Antrag des Angeklagten – unter Berücksichtigung der 18 Vorstrafen – dass der Angeklagte eine Geldstrafe von umgerechnet 3.000,–€ leisten muss.

Es folgte ein ähnlicher Fall, bei dem eine junge Frau einen Ladendiebstahl in einem Drogeriemarkt beging. Sie behauptete lediglich vergessen zu haben, die künstlichen Wimpern im Wert von 5,95€ zu bezahlen. Da der Richter nicht zweifelsfrei erkennen konnte, ob ein Diebstahl vorlag, entschied er gemäß dem Rechtsgrundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ auf Freispruch.

Anschließend wurden zwei weitere Fälle verhandelt, die sich mit Fahren ohne Fahrerlaubnis und Urkundenfälschung beschäftigten, wobei letzteres Vergehen als einziges mit Haftstrafe belegt wurde.

Der letzte Fall war der Höhepunkt des Tages: Ein Beziehungsdrama. Es ging um ein Ehepaar, welches in Trennung lebt. Die Frau wurde wegen Drogenbesitzes angeklagt, nachdem ihr Noch-Ehemann Amphetamine in ihrer Wohnung gefunden hatte. Die Angeklagte wies diesen Vorwurf zurück, und beschuldigte den Mann, ihr die Drogen untergejubelt zu haben. Dies sei aus Rache geschehen, da er im letzten Jahr nach einer Anzeige von ihr wegen Körperverletzung verurteilt wurde. Als der „Noch-Ehemann“ – gekleidet mit einem Totenkopf T-Shirt – den Verhandlungssaal als Zeuge betrat, wurde er vom Richter sofort energisch darauf hingewiesen, sich das nächste Mal angemessener zu kleiden.

Da er sich im Laufe der Verhandlung in seinen Behauptungen verstrickte und deshalb unglaubwürdig wirkte, wurde er vom Richter aufgefordert, einen Eid abzulegen. Nach der Belehrung durch den Richter über die Konsequenzen eines Meineids, einer Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr, erhob sich der gesamte Gerichtssaal zur Vereidigung. Der Mann war zunächst nicht in der Lage, den Eid nachzusprechen und beim zweiten Mal verhaspelte er sich. Anschließend wurden die wichtigsten Aussagen des Zeugen wiederholt und wörtlich protokolliert, z.B., dass er die Drogen nicht selbst mit in die Wohnung nahm. Nach den Plädoyers von Staatsanwalt und Verteidiger wurde die Angeklagte freigesprochen, da es Aussage gegen Aussage stand, der Richter die Schuld nicht nachweisen konnte und somit der Rechtsgrundsatz „in dubio pro reo“ galt.

Auch wenn sich unsere Vorstellungen vom Gericht als falsch herausstellten, waren wir dennoch alle beeindruckt, wie spannend Gerichtsverhandlungen sein können und dankbar für die Eindrücke, die wir mitnahmen. Vor allem von dem Vorurteil, dass Richter und Staatsanwalt alt, streng und unmenschlich seien, wurden wir befreit. Beide waren sehr jung und wirklich äußerst sympathisch, der Richter nahm sich sogar nach jedem Fall Zeit, um uns seine Gedankengänge während des Falls darzulegen und uns so zu erklären, warum er sich für den jeweiligen Richterspruch entschieden hat.

Ein Dank geht an Frau Dreßel und Frau Meyer, die uns diese Erfahrung ermöglicht haben.

Katharina Kerscher, Katharina Schuhbeck, Magdalena Hütter, Franziska Reiter, Stefanie Koblechner