Zeitzeugenvortrag zur Flucht aus der DDR

Die innerdeutsche Grenze zur früheren DDR war gut gesichert, für eine Flucht schied der Landweg deshalb nahezu aus. Wasser zum Durchqueren war für die meisten auch keines da, somit blieb nur noch die Luft. Das dachten sich 1979, also zehn Jahre vor dem Ende der DDR, die dort lebenden Familien Wetzel und Strelzyk, sie fuhren mit einem Heißluftballon in den Westen. Wie spannend das war, hörten rund 250 Schüler des Garser Gymnasiums aus erster Hand.

Diese Flucht sorgte weltweit für Aufsehen und ist zweimal verfilmt worden, zuletzt von dem Regisseur Bully Herbig. Zusammen mit ihrem Geschichtslehrer Martin Göller schauten sich die Schüler der Jahrgangsstufen Neun, Zehn und Elf den Film „Ballon“ an und stellten Fragen.

„Nein, das würde ich heute nicht mehr machen“, antwortete Günter Wetzel, Jahrgang 1955, auf eine Frage der Schüler. Damals sei es aber „richtig gewesen“, doch mit dem Wissen von heute „hatten wir einfach nur großes Glück, da hätte viel passieren können“. Leicht war an diesem Unterfangen gar nichts. So durfte die Beschaffung der großen Menge Stoff nicht auffallen, das wochenlange Nähen der 1300 Quadratmeter großen Hülle sollte nicht zu hören sein, die Start- und Flugversuche durfte niemand sehen, und überhaupt sollte keiner etwas darüber sagen. Denn der Staatssicherheitsdienst, Stasi genannt, hatte seine Augen und Ohren überall, so dass allen Mitwissern Gefängnis drohte, und die Kinder, das war allen klar, wären in Heime gekommen. Es seien in der DDR aber „nicht alle Spitzel gewesen, wir haben uns auch gegenseitig viel geholfen“, verriet Wetzel. An Beispielen zeigte er auf, wie streng die DDR selbst kleinste Vergehen mit langjährigen Gefängnisstrafen ahndete und weshalb er für sich und seine Familie dort keine Zukunft sah.

Die Flucht gelang unter Zeitdruck erst mit dem dritten Ballon, und selbst der ist im Flug entdeckt worden. Doch mit Glück landeten vier Erwachsene und vier Kinder nach einer knappen halben Stunde in der Luft und 18 Kilometer weiter unversehrt bei Naila in Oberfranken. In der Folgezeit hatten die Familien jedoch Differenzen und haben sich aus den Augen verloren. Peter Strelzyk starb 2017. In den letzten Jahren, so erzählte es Günter Wetzel, habe er bemerkt, dass von der Flucht „vieles falsch dargestellt wurde“, das will er nun ändern und rief die Internetseite www.ballonflucht.de ins Leben. Etwa 15 bis 20 Schulen besucht er im Jahr und hält Vorträge.

Gleich nach dem Film fragten die Schüler, ob sich denn die Hoffnungen erfüllt haben. Nein, antwortete Wetzel, studiert habe er nicht, alles andere sei jedoch gut verlaufen. Mehrere Fragen betrafen die Glaubwürdigkeit des Films. Wenn auch überwiegend alles gestimmt habe, seien Szenen für eine bessere Dramaturgie hinzugefügt oder verändert worden, berichtete Wetzel.

Andere wollten wissen, wie die Kinder damals die Flucht erlebt haben. Den kleineren mit fünf und zwei Jahren „brauchte man gar nichts erklären“, denn die hätten damit nichts anzufangen gewusst, während sich die größeren mit elf und 15 Jahren auf die neuen Möglichkeiten im Westen gefreut hatten. Angst während der Ballonfahrt gab es vorher und hinterher, währenddessen nicht, „da haben wir nur funktioniert“. Ja, er lebe heute wieder im Osten, doch habe es ihm in Naila gut gefallen. Einen Groll, so eine weitere Frage, hege er gegen Stasi-Mitarbeiter nur, wenn sie anderen bewusst geschadet haben; allerdings befand sich auch sein Patenonkel darunter. Mindestens 40.000 Mark habe die Flucht gekostet, „aber uns ging es ja nicht schlecht“, so Wetzel. Handwerkliche Fähigkeiten waren in der DDR üblich, „wir waren gelernte Ossis“, von daher sei der Bau des Fluggerätes kein so großes Hindernis gewesen. Für diese zwei Schulstunden Frage und Antwort erhielt Günter Wetzel abschließend anhaltenden Beifall von den Schülern.

kg

Fotos: Günster