Bericht und Fotografien von Bruno Münch
Zeitgeschichte zum Anfassen wurde fast 300 Schülern der 9.-11. Jahrgangsstufen des Gymnasiums Gars geboten: „Zeitzeuge“ Karl-Heinz Torge aus Schrobenhausen gab ihnen einen anschaulichen Einblick in seine bewegte Lebensgeschichte: Aufgewachsen in der DDR, kam er nach Steinmetzlehre und Kunststudium in Dresden zur Nationalen Volksarmee und schließlich nach abenteuerlicher Flucht zu Zeiten des Kalten Krieges über Todesstreifen und Stacheldraht in die Bundesrepublik.
Lebendig und fesselnd, dabei aber immer eher untertreibend erzählte Steinmetzmeister und Bildhauer Torge den gebannt lauschenden Gymnasiasten seine an Spannung und schicksalhaften Wendungen reiche Lebensgeschichte. Um seine jungen Zuhörer bei ihrem Vorwissen „abzuholen“, waren zunächst die nach 1945 von den Siegermächten gezogene innerdeutsche Grenze und die Situation des Kalten Krieges zwischen Ost und West Themen seiner Ausführungen.
Dazu ließ Torge geschichtliche Fakten und politische Ereignisse lebendig werden: den verworfenen Plan, ganz Westberlin zu evakuieren und damit die Ost-West-Grenze zu begradigen, die Berlinblockade und die Luftbrücke der Alliierten, die der Stadt das Überleben sicherte, den Arbeiteraufstand in Ostberlin vom 17. Juni 1953 und schließlich die Abschottung der DDR durch Mauer und Stacheldraht am 13. August 1961. Zur Sprache kamen auch die spektakulären Fluchten von DDR-Bürgern und die 327 Toten an der Berliner Mauer und an der innerdeutschen Grenze.
Mit Hilfe von Landkarten, Bildern und Dokumenten gelang es Torge, ein anschauliches Bild der Lebensbedingungen zu entwerfen, denen er als Jugendlicher in der DDR unterworfen war. Schon in der Schule war Linientreue gefragt, einen Studienplatz konnte nur der politisch angepasste und damit „zuverlässige“ Jugendliche bekommen. So sei ihm, nachdem er die Aufnahmeprüfung für ein Architekturstudium bestanden habe, nahe gelegt worden, sich nun auch als „dankbar“ zu erweisen und sich der SED – Linie entsprechend zu engagieren, was aber für ihn nicht in Frage gekommen sei.
Als Wehrpflichtiger wurde er zur Nationalen Volksarmee (NVA) eingezogen und einer Pioniertruppe zugeordnet, die damals noch provisorische Grenzanlagen, die das Westberliner Stadtgebiet von der umgebenden DDR abtrennten, auszubauen hatte. Nur politisch zuverlässige Soldaten schickte man in Grenznähe, Torge hielt man nicht für fluchtverdächtig, da er ja bereits einen der raren Studienplätze an der Bauhaus- Universität in Weimar hatte. Dem jungen Karl-Heinz allerdings erschien damals eine Zukunft als DDR-Architekt, der wohl ausschließlich uniforme sozialistische Bauten zu erstellen und auch keinerlei Reisefreiheit gehabt hätte, wenig attraktiv. Ohne seine Familie zu informieren und dadurch zu gefährden überwand er am 2. August 1966 mithilfe eines Stahlträgers, den er auf den damals noch einfachen Stacheldrahtzaun legte, die Sektorengrenze in der Nähe des Kontrollpunkts Heerstraße und fand Zuflucht in Westberlin.
Aufgenommen, befragt und untergebracht von bundesrepublikanischen und englischen Behörden führte der Weg Torge, der schon in der Magdeburger Dombauhütte gearbeitet hatte, zu den Steinmetzen der Kölner Dombauhütte und schließlich zum Meisterkurs nach München. Dort lernte er seine heutige Frau kennen und lebt seitdem als freischaffender Künstler mit ihr, einer Holzbildhauerin, in Schrobenhausen.
Vielfältig waren die Fragen, die die Schüler dem Zeitzeugen stellten, darunter die, ob er denn im bundesrepublikanischen Westen auf Ablehnung und Vorurteile gestoßen sei. „Überhaupt nicht“, so Torge, „wenn man mal davon absieht, dass ich halt ein ‚Preiß‘ war“, räumt er schmunzelnd ein. Alles in allem ein für die politische Bildung wertvoller und sicher nachhaltig wirkender Vortrag für die Garser Gymnasiasten.
(28.07.2017 – B.Münch)